Sonntag, 29. November 2009

Der Wolf und der Mensch

Wieder ein nettes Märchen gefunden, diesmal von den Gebrüdern Grimm.

Der Wolf und der Mensch

Der Fuchs erzählte einmal dem Wolf von der Stärke des Menschen, kein Tier könnte ihm widerstehen, und sie müssten List gebrauchen, um sich vor ihm zu erhalten. Da antwortete der Wolf: "Wenn ich nur einmal einen Menschen zu sehen bekäme, ich wollte doch auf ihn losgehen." - "Dazu kann ich dir helfen", sprach der Fuchs, "komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen zeigen." Der Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs brachte ihn hinaus auf den Weg, den der Jäger alle Tage ging. Zuerst kam ein alter abgedankter Soldat. "Ist das ein Mensch?" fragte der Wolf. "Nein", antwortete der Fuchs, "das ist einer gewesen." Danach kam ein kleiner Knabe, der zur Schule wollte. "Ist das ein Mensch?" - "Nein, das will erst einer werden." Endlich kam der Jäger, die Doppelflinte auf dem Rücken und den Hirschfänger an der Seite. Sprach der Fuchs zum Wolf: "Siehst du, dort kommt ein Mensch, auf den musst du losgehen, ich aber will mich fort in meine Höhle machen." Der Wolf ging nun auf den Menschen los, der Jäger, als er ihn erblickte, sprach: "Es ist schade, dass ich keine Kugel geladen habe", legte an und schoss dem Wolf das Schrot ins Gesicht.

Der Wolf verzog das Gesicht ganz gewaltig, doch ließ er sich nicht schrecken und ging vorwärts, da gab ihm der Jäger eine zweite Ladung. Der Wolf verbiss den Schmerz und rückte dem Jäger zu Leibe; da zog dieser seinen blanken Hirschfänger und gab ihm links und rechts ein paar Hiebe, dass er, über und über blutend, mit Geheul zu dem Fuchs zurücklief: "Nun, Bruder Wolf", sprach der Fuchs, "wie bist du mit dem Menschen fertig geworden?" - "Ach", antwortete der Wolf, "so habe ich mir die Stärke des Menschen nicht vorgestellt: erst nahm er einen Stock von der Schulter und blies hinein, da flog mir etwas ins Gesicht, das hat mich ganz entsetzlich gekitzelt, danach pustete er noch einmal in den Stock, da flog es mir um die Nase wie der Blitz und Hagelwetter, und wie ich ganz nahe war, da zog er eine blanke Rippe aus dem Leib, damit hat er so auf mich losgeschlagen, dass ich beinahe tot liegen geblieben wäre." - "Siehst du", sprach der Fuchs, "was du für ein Prahlhans bist: du wirfst das Beil so weit, dass du's nicht wieder holen kannst."

Mittwoch, 18. November 2009

Der Fuchs

Der Fuchs

Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herabzukommen, ergriff er einen nahen Dornstrauch. Er ließ sich auch glücklich daran nieder, nur daß ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. "Elende Helfer", rief der Fuchs, "die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden!"

Sonntag, 15. November 2009

Jupiter und Apollo

Jupiter und Apollo

Jupiter und Apollo stritten, welcher von ihnen der beste Bogenschütze sei. "Lass uns die Probe machen!" sagte Apollo. Er spannte seinen Bogen und schoss so mitten in das bemerkte Ziel, dass Jupiter keine Möglichkeit sah, ihn zu übertreffen. "Ich sehe," sprach er, "dass du wirklich sehr wohl schießest. Ich werde Mühe haben, es besser zu machen. Doch will ich es ein andermal versuchen." Er soll es noch versuchen, der kluge Jupiter!

Freitag, 13. November 2009

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer

Gotthold Ephraim Lessing:

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer (1776-1778)

Drittes Gespräch:

ERNST. Du bist mir den ganzen Tag im Gedränge der Gesellschaft ausgewichen. Aber ich verfolge dich in dein Schlafzimmer.

FALK. Hast du mir so etwas wichtiges zu sagen? Der bloßen Unterhaltung bin ich auf heute müde.

ERNST. Du spottest meiner Neugierde.

FALK. Deiner Neugierde?

ERNST. Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen wußtest.

FALK. Wovon sprachen wir diesen Morgen?

ERNST. Von den Freimäurern.

FALK. Nun? – Ich habe dir im Rausche des Pyrmonter doch nicht das Geheimnis verraten?

ERNST. Das man, wie du sagst, gar nicht verraten kann.

FALK. Nun freilich; das beruhigt mich wieder.

ERNST. Aber du hast mir doch über die Freimäurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das mir auffiel; das mich denken machte.

FALK. Und was war das?

ERNST. O quäle mich nicht! – Du erinnerst dich dessen gewiß.

FALK. Ja; es fällt mir nach und nach wieder ein. – Und das war es, was dich den ganzen langen Tag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte?

ERNST. Das war es! – Und ich kann nicht einschlafen, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest.

FALK. Nach dem die Frage sein wird.

ERNST. Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, daß die Freimäurer wirklich jene große und würdige Absichten haben?

FALK. Habe ich dir von ihren Absichten gesprochen? Ich wüßte nicht. – Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahren Taten der Freimäurer machen konntest: habe ich dich bloß auf einen Punkt aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles geschehen kann, wovon sich unsere staatsklugen Köpfe gar nichts träumen lassen. – Vielleicht, daß die Freimäurer da herum arbeiten. – Vielleicht! da herum! – Nur um dir dein Vorurteil zu benehmen, daß alle baubedürftige Plätze schon ausgefunden und besetzt, alle nötige Arbeiten schon unter die erforderlichen Hände verteilet wären.

ERNST. Wende dich itzt, wie du willst. – Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimäurer als Leute, die es freiwillig über sich genommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Staats entgegen zu arbeiten.

FALK. Dieser Begriff kann den Freimäurern wenigstens keine Schande machen. – Bleib dabei! – Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was nicht hinein gehöret. – Den unvermeidlichen Übeln des Staats! – Nicht dieses und jenes Staats. Nicht den unvermeidlichen Übeln, welche, eine gewisse Staatsverfassung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfassung nun notwendig folgen. Mit diesen gibt sich der Freimäurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimäurer. Die Linderung und Heilung dieser überläßt er dem Bürger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz andrer Art, ganz höherer Art, sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.

ERNST. Ich habe das sehr wohl begriffen. – Nicht Übel, welche den mißvergnügten Bürger machen, sondern Übel, ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht sein kann.

FALK. Recht! Diesen entgegen – wie sagtest du? – entgegen zu arbeiten?

ERNST. Ja!

FALK. Das Wort sagt ein wenig viel. – Entgegenarbeiten! – Um sie völlig zu heben? – Das kann nicht sein. Denn man würde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten. – Sie müssen nicht einmal denen mit eins merklich gemacht werden, die noch gar keine Empfindung davon haben. Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weiten veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzen, begäten, beblatten – kann hier entgegen arbeiten heißen. – Begreifst du nun, warum ich sagte, ob die Freimäurer schon immer tätig wären, daß Jahrhunderte dennoch vergehen könnten, ohne daß sich sagen lasse: das haben sie getan.

ERNST. Und verstehe auch nun den zweiten Zug des Rätsels – Gute Taten, welche gute Taten entbehrlich machen sollen.

FALK. Wohl! – Nun geh, und studiere jene Übel, und lerne sie alle kennen, und wäge alle ihre Einflüsse gegen einander ab, und sei versichert, daß dir dieses Studium Dinge aufschließen wird, die in Tagen der Schwermut die niederschlagendsten, unauflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen. Dieser Aufschluß, diese Erleuchtung wird dich ruhig und glücklich machen; – auch ohne Freimäurer zu heißen.

ERNST. Du legest auf dieses heißen so viel Nachdruck.

FALK. Weil man etwas sein kann, ohne es zu heißen.

ERNST. Gut das! ich versteh – Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nur ein wenig anders einkleiden muß. Da ich sie doch nun kenne, die Übel, gegen welche die Freimäurerei angehet – –

FALK. Du kennest sie?

ERNST. Hast du mir sie nicht selbst genannt?

FALK. Ich habe dir einige zur Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten: nur einige von den unstreitigsten, weit umfassendsten. – Aber wie viele sind nicht noch übrig, die, ob sie schon nicht so einleuchten, nicht so unstreitig sind, nicht so viel umfassen, dennoch nicht weniger gewiß, nicht weniger notwendig sind!

ERNST. So laß mich meine Frage denn bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hast. – Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, daß die Freimäurer wirklich ihr Absehen darauf haben? – Du schweigst? – Du sinnest nach?

FALK. Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten hätte! – Aber ich weiß nicht, was ich mir für Ursachen denken soll, warum du mir diese Frage tust?

ERNST. Und du willst mir meine Frage beantworten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?

FALK. Das verspreche ich dir.

ERNST. Ich kenne und fürchte deinen Scharfsinn.

FALK. Meinen Scharfsinn?

ERNST. Ich fürchte, du verkaufst mir deine Spekulation für Tatsache.

FALK. Sehr verbunden.

ERNST. Beleidiget dich das?

FALK. Vielmehr muß ich dir danken, daß du Scharfsinn nennest, was du ganz anders hättest benennen können.

ERNST. Gewiß nicht. Sondern ich weiß, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betriegt; wie leicht er andern Leuten Plane und Absichten leihet und unterlegt, an die sie nie gedacht haben.

FALK. Aber woraus schließt man auf der Leute Plane und Absichten? Aus ihren einzeln Handlungen doch wohl?

ERNST. Woraus sonst? – Und hier bin ich wieder bei meiner Frage. – Aus welchen einzeln, unstreitigen Handlungen der Freimäurer ist abzunehmen, daß es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benannte Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen notwendig machen müssen, durch sich und in sich wieder zu vereinigen?

FALK. Und zwar ohne Nachteil dieses Staats, und dieser Staaten.

ERNST. Desto besser! – Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu sein, woraus jenes abzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigentümlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten, oder daraus entspringen. – Von dergleichen müßtest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sein; gesetzt, daß dein System nur Hypothese wäre.

FALK. Dein Mißtrauen äußert sich noch. – Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimäurer zu Gemüte führe.

ERNST. Und welches?

FALK. Aus welchem sie nie ein Geheimnis gemacht haben. Nach welchem sie immer vor den Augen der ganzen Welt gehandelt haben.

ERNST. Das ist?

FALK. Das ist, jeden würdigen Mann von gehöriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Unterschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufzunehmen.

ERNST. Wahrhaftig!

FALK. Freilich scheint dieses Grundgesetze dergleichen Männer, die über jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits voraus zu setzen, als die Absicht zu haben, sie zu bilden. Allein das Nitrum muß ja wohl in der Luft sein, ehe es sich als Salpeter an den Wänden anlegt.

ERNST. O ja!

FALK. Und warum sollten die Freimäurer sich nicht hier einer gewöhnlichen List haben bedienen dürfen? – Daß man einen Teil seiner geheimen Absichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irre zu führen, der immer ganz etwas anders vermutet, als er sieht.

ERNST. Warum nicht?

FALK. Warum sollte der Künstler, der Silber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber handeln, damit man so weniger argwohne, daß er es machen kann?

ERNST. Warum nicht?

FALK. Ernst! – Hörst du mich? – Du antwortest im Traume, glaub ich.

ERNST. Nein, Freund! Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen, mit dem frühsten, kehre ich wieder nach der Stadt.

FALK. Schon? Und warum so bald?

ERNST. Du kennst mich, und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur noch?

FALK. Ich habe sie vorgestern erst angefangen.

ERNST. So sehe ich dich vor dem Ende derselben noch wieder. – Lebe wohl! gute Nacht!

FALK. Gute Nacht! lebe wohl!

Mittwoch, 11. November 2009

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer Gotthold Ephraim Lessing:

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer (1776-1778)

Zweites Gespräch:

ERNST. Nun? wo bleibst du denn? Und hast den Schmetterling doch nicht?

FALK. Er lockte mich von Strauch zu Strauch, bis an den Bach. Auf einmal war er herüber.

ERNST. Ja, ja. Es gibt solche Locker!

FALK. Hast du nachgedacht?

ERNST. Über was? Über dein Rätsel? – Ich werde ihn auch nicht fangen, den schönen Schmetterling! Darum soll er mir aber auch weiter keine Mühe machen. – Einmal von der Freimäurerei mit dir gesprochen, und nie wieder. Denn ich sehe ja wohl; du bist, wie sie alle.

FALK. Wie sie alle? Das sagen diese alle nicht.

ERNST. Nicht? So gibt es ja wohl auch Ketzer unter den Freimäurern? Und du wärest einer. – Doch alle Ketzer haben mit den Rechtgläubigen immer noch etwas gemein. Und davon sprach ich.

FALK. Wovon sprachst du?

ERNST. Rechtgläubige oder Ketzerische Freimäurer – sie alle spielen mit Worten, und lassen sich fragen, und antworten ohne zu antworten.

FALK. Meinst du? – Nun wohl, so laß uns von etwas andern reden. Denn einmal hast du mich aus dem behäglichen Zustande des stummen Staunens gerissen –

ERNST. Nichts ist leichter, als dich in diesen Zustand wieder zu versetzen – Laß dich nur hier bei mir nieder, und sieh!

FALK. Was denn?

ERNST. Das Leben und Weben auf und in und um diesen Ameisenhaufen. Welche Geschäftigkeit, und doch welche Ordnung! Alles trägt und schleppt und schiebt; und keines ist dem andern hinderlich. Sieh nur! Sie helfen einander sogar.

FALK. Die Ameisen leben in Gesellschaft, wie die Bienen.

ERNST. Und in einer noch wunderbarern Gesellschaft als die Bienen. Denn sie haben niemand unter sich, der sie zusammen hält und regieret.

FALK. Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen können.

ERNST. Wenn jedes einzelne sich selbst zu regieren weiß: warum nicht?

FALK. Ob es wohl auch einmal mit den Menschen dahin kommen wird?

ERNST. Wohl schwerlich!

FALK. Schade!

ERNST. Ja wohl!

FALK. Steh auf, und laß uns gehen. Denn sie werden dich bekriechen die Ameisen; und eben fällt auch mir etwas bei, was ich bei dieser Gelegenheit dich doch fragen muß. – Ich kenne deine Gesinnungen darüber noch gar nicht.

ERNST. Worüber?

FALK. Über die bürgerliche Gesellschaft des Menschen überhaupt. – Wofür hältst du sie?

ERNST. Für etwas sehr Gutes.

FALK. Ohnstreitig. – Aber hältst du sie für Zweck, oder für Mittel?

ERNST. Ich verstehe dich nicht.

FALK. Glaubst du, daß die Menschen für die Staaten erschaffen werden? Oder daß die Staaten für die Menschen sind?

ERNST. Jenes scheinen einige behaupten zu wollen. Dieses aber mag wohl das Wahrere sein.

FALK. So denke ich auch. – Die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sichrer genießen könne. – Das Totale der einzeln Glückseligkeiten aller Glieder, ist die Glückseligkeit des Staats. Außer dieser gibt es gar keine. Jede andere Glückseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden, und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nichts!

ERNST. Ich möchte das nicht so laut sagen.

FALK. Warum nicht?

ERNST. Eine Wahrheit, die jeder nach seiner eignen Lage beurteilet, kann leicht gemißbraucht werden.

FALK. Weißt du, Freund, daß du schon ein halber Freimäurer bist?

ERNST. Ich?

FALK. Du. Denn du erkennst ja schon Wahrheiten, die man besser verschweigt.

ERNST. Aber doch sagen könnte.

FALK. Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt.

ERNST. Nun, wie du willst! – Laß uns auf die Freimäurer nicht wieder zurück kommen. Ich mag ja von ihnen weiter nichts wissen.

FALK. Verzeih! – Du siehst wenigstens meine Bereitwilligkeit, dir mehr von ihnen zu sagen.

ERNST. Du spottest. – – Gut! das bürgerliche Leben des Menschen, alle Staatsverfassungen sind nichts als Mittel zur menschlichen Glückseligkeit. Was weiter?

FALK. Nichts als Mittel! Und Mittel menschlicher Erfindung; ob ich gleich nicht leugnen will, daß die Natur alles so eingerichtet, daß der Mensch sehr bald auf diese Erfindung geraten müssen.

ERNST. Dieses hat denn auch wohl gemacht, daß einige die bürgerliche Gesellschaft für Zweck der Natur gehalten. Weil alles, unsere Leidenschaften und unsere Bedürfnisse, alles darauf führe, sei sie folglich das Letzte, worauf die Natur gehe. So schlossen sie. Als ob die Natur nicht auch die Mittel zweckmäßig hervorbringen müssen! Als ob die Natur mehr die Glückseligkeit eines abgezogenen Begriffs – wie Staat, Vaterland und dergleichen sind – als die Glückseligkeit jedes wirklichen einzeln Wesens zur Absicht gehabt hätte!

FALK. Sehr gut! Du kömmst mir auf dem rechten Wege entgegen. Denn nun sage mir; wenn die Staatsverfassungen Mittel, Mittel menschlicher Erfindungen sind: sollten sie allein von dem Schicksale menschlicher Mittel ausgenommen sein?

ERNST. Was nennst du Schicksale menschlicher Mittel?

FALK. Das, was unzertrennlich mit menschlichen Mitteln verbunden ist; was sie von göttlichen unfehlbaren Mitteln unterscheidet.

ERNST. Was ist das?

FALK. Daß sie nicht unfehlbar sind. Daß sie ihrer Absicht nicht allein öfters nicht entsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegenteil davon bewirken.

ERNST. Ein Beispiel! wenn dir eines einfällt.

FALK. So sind Schiffahrt und Schiffe Mittel in entlegene Länder zu kommen; und werden Ursache, daß viele Menschen nimmermehr dahin gelangen.

ERNST. Die nämlich Schiffbruch leiden, und ersaufen. Nun glaube ich dich zu verstehen. – Aber man weiß ja wohl, woher es kömmt, wenn so viel einzelne Menschen durch die Staatsverfassung an ihrer Glückseligkeit nichts gewinnen. Der Staatsverfassungen sind viele; eine ist also besser als die andere; manche ist sehr fehlerhaft, mit ihrer Absicht offenbar streitend; und die beste soll vielleicht noch erfunden werden.

FALK. Das ungerechnet! Setze die beste Staatsverfassung, die sich nur denken läßt, schon erfunden; setze, daß alle Menschen in der ganzen Welt diese beste Staatsverfassung angenommen haben: meinst du nicht, daß auch dann noch, selbst aus dieser besten Staatsverfassung, Dinge entspringen müssen, welche der menschlichen Glückseligkeit höchst nachteilig sind, und wovon der Mensch in dem Stande der Natur schlechterdings nichts gewußt hätte?

ERNST. Ich meine: wenn dergleichen Dinge aus der besten Staatsverfassung entsprängen, daß es sodann die beste Staatsverfassung nicht wäre.

FALK. Und eine bessere möglich wäre? – Nun, so nehme ich diese Bessere als die Beste an: und frage das Nämliche.

ERNST. Du scheinest mir hier bloß von vorne herein aus dem angenommenen Begriffe zu vernünfteln, daß jedes Mittel menschlicher Erfindung, wofür du die Staatsverfassungen samt und sonders erklärest, nicht anders als mangelhaft sein könne.

FALK. Nicht bloß.

ERNST. Und es würde dir schwer werden, eins von jenen nachteiligen Dingen zu nennen –

FALK. Die auch aus der besten Staatsverfassung notwendig entspringen müssen? – O zehne für eines.

ERNST. Nur eines erst.

FALK. Wir nehmen also die beste Staatsverfassung für erfunden an; wir nehmen an, daß alle Menschen in der Welt in dieser besten Staatsverfassung leben: würden deswegen alle Menschen in der Welt, nur einen Staat ausmachen?

ERNST. Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat würde keiner Verwaltung fähig sein. Er müßte sich also in mehrere kleine Staaten verteilen, die alle nach den nämlichen Gesetzen verwaltet würden.

FALK. Das ist: die Menschen würden auch dann noch Deutsche und Franzosen, Holländer und Spanier, Russen und Schweden sein; oder wie sie sonst heißen würden.

ERNST. Ganz gewiß!

FALK. Nun da haben wir ja schon Eines. Denn nicht wahr, jeder dieser kleinern Staaten hätte sein eignes Interesse? und jedes Glied derselben hätte das Interesse seines Staats?

ERNST. Wie anders?

FALK. Diese verschiedene Interesse würden öfters in Kollision kommen, so wie itzt: und zwei Glieder aus zwei verschiedenen Staaten würden einander eben so wenig mit unbefangenem Gemüt begegnen können, als itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer begegnet.

ERNST. Sehr wahrscheinlich!

FALK. Das ist: wenn itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer, oder umgekehrt, begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensch einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiednen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegen einander kalt, zurückhaltend, mißtrauisch macht, noch ehe sie für ihre einzelne Person das geringste mit einander zu schaffen und zu teilen haben.

ERNST. Das ist leider wahr.

FALK. Nun so ist es denn auch wahr, daß das Mittel, welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese Vereinigung ihres Glückes zu versichern, die Menschen zugleich trennet.

ERNST. Wenn du es so verstehest.

FALK. Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Bedürfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben. Meinst du nicht?

ERNST. Das ist ein gewaltiger Schritt!

FALK. Die Menschen würden auch dann noch Juden und Christen und Türken und dergleichen sein.

ERNST. Ich getraue mir nicht, Nein zu sagen.

FALK. Würden sie das; so würden sie auch, sie möchten heißen, wie sie wollten, sich unter einander nicht anders verhalten, als sich unsere Christen und Juden und Türken von je her unter einander verhalten haben. Nicht als bloße Menschen gegen bloße Menschen; sondern als solche Menschen gegen solche Menschen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen, und darauf Rechte gründen, die dem natürlichen Menschen nimmermehr einfallen könnten.

ERNST. Das ist sehr traurig; aber leider doch sehr vermutlich.

FALK. Nur vermutlich?

ERNST. Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen hast, daß alle Staaten einerlei Verfassung hätten, daß sie auch wohl alle einerlei Religion haben könnten. Ja ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne einerlei Religion auch nur möglich ist.

FALK. Ich eben so wenig. – Auch nahm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlässig eben so unmöglich, als das andere. Ein Staat: mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen. Mehrere Staatsverfassungen: mehrere Religionen.

ERNST. Ja, ja: so scheint es.

FALK. So ist es. – Nun sieh da das zweite Unheil, welches die bürgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hin zu ziehen.

ERNST. Und wie schrecklich diese Klüfte sind! wie unübersteiglich oft diese Scheidemauern!

FALK. Laß mich noch das dritte hinzufügen. – Nicht genug, daß die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Völker und Religionen teilet und trennet. – Diese Trennung in wenige große Teile, deren jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch immer noch besser, als gar kein Ganzes. – Nein; die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche fort.

ERNST. Wie so?

FALK. Oder meinest du, daß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Ständen denken läßt? Er sei gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger nahe: unmöglich können alle Glieder desselben unter sich das nämliche Verhältnis haben.- Wenn sie auch alle an der Gesetzgebung Anteil haben: so können sie doch nicht gleichen Anteil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben. – Wenn Anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich verteilet worden: so kann diese gleiche Verteilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Einer wird sein Eigentum besser zu nutzen wissen, als der andere. Einer wird sein schlechter genutztes Eigentum gleichwohl unter mehrere Nachkommen zu verteilen haben, als der andere. Es wird also reichere und ärmere Glieder geben.

ERNST. Das versteht sich.

FALK. Nun überlege, wie viel Übel es in der Welt wohl gibt, das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat.

ERNST. Wenn ich dir doch widersprechen könnte! – Aber was hatte ich für Ursache, dir überhaupt zu widersprechen? – Nun ja, die Menschen sind nur durch Trennung zu vereinigen! nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalten! Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein.

FALK. Das sage ich eben!

ERNST. Also, was willst du damit? Mir das bürgerliche Leben dadurch verleiden? Mich wünschen machen, daß den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie möge gekommen sein?

FALK. Verkennst du mich so weit? – Wenn die bürgerliche Gesellschaft auch nur das Gute hätte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann: ich würde sie auch bei weit größern Übeln noch segnen.

ERNST. Wer des Feuers genießen will, sagt das Sprichwort, muß sich den Rauch gefallen lassen.

FALK. Allerdings! – Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist: durfte man darum keinen Rauchfang erfinden? Und der den Rauchfang erfand, war der darum ein Feind des Feuers? – Sieh, dahin wollte ich.

ERNST. Wohin? – Ich verstehe dich nicht.

FALK. Das Gleichnis war doch sehr passend. – – Wenn die Menschen nicht anders in Staaten vereiniget werden konnten, als durch jene Trennungen: werden sie darum gut, jene Trennungen?

ERNST. Das wohl nicht.

FALK. Werden sie darum heilig, jene Trennungen?

ERNST. Wie heilig?

FALK. Daß es verboten sein sollte, Hand an sie zu legen?

ERNST. In Absicht? ...

FALK. In Absicht, sie nicht größer einreißen zu lassen, als die Notwendigkeit erfodert. In Absicht, ihre Folgen so unschädlich zu machen, als möglich.

ERNST. Wie könnte das verboten sein?

FALK. Aber geboten kann es doch auch nicht sein; durch bürgerliche Gesetze nicht geboten! Denn bürgerliche Gesetze erstrecken sich nie über die Grenzen ihres Staats. Und dieses würde nun gerade außer den Grenzen aller und jeder Staaten liegen. – Folglich kann es nur ein Opus supererogatum sein: und es wäre bloß zu wünschen, daß sich die Weisesten und Besten eines jeden Staats diesem Operi supererogato freiwillig unterzögen.

ERNST. Bloß zu wünschen; aber recht sehr zu wünschen.

FALK. Ich dächte! Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären, und genau wüßten, wo Patriotismus, Tugend zu sein aufhöret.

ERNST. Recht sehr zu wünschen!

FALK. Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die dem Vorurteile ihrer angebornen Religion nicht unterlägen; nicht glaubten, daß alles notwendig gut und wahr sein müsse, was sie für gut und wahr erkennen.

ERNST. Recht sehr zu wünschen!

FALK. Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, welche bürgerliche Hoheit nicht blendet, und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herabläßt, und der Geringe sich dreist erhebet.

ERNST. Recht sehr zu wünschen!

FALK. Und wenn er erfüllt wäre, dieser Wunsch?

ERNST. Erfüllt? – Es wird freilich hier und da, dann und wann, einen solchen Mann geben.

FALK. Nicht bloß hier und da; nicht bloß dann und wann.

ERNST. Zu gewissen Zeiten, in gewissen Ländern auch mehrere.

FALK. Wie, wenn es dergleichen Männer itzt überall gäbe? zu allen Zeiten nun ferner geben müßte?

ERNST. Wollte Gott!

FALK. Und diese Männer nicht in einer unwirksamen Zerstreuung lebten? nicht immer in einer unsichtbaren Kirche?

ERNST. Schöner Traum!

FALK. Daß ich es kurz mache. – Und diese Männer die Freimäurer wären?

ERNST. Was sagst du?

FALK. Wie, wenn es die Freimäurer wären, die sich mit zu ihrem Geschäfte gemacht hätten, jene Trennungen, wodurch die Menschen einander so fremd werden, so eng als möglich wieder zusammen zu ziehen?

ERNST. Die Freimäurer?

FALK. Ich sage: mit zu ihrem Geschäfte.

ERNST. Die Freimäurer?

FALK. Ach! verzeih! – Ich hatt es schon wieder vergessen, daß du von den Freimäurern weiter nichts hören willst – Dort winkt man uns eben zum Frühstücke. Komm!

ERNST. Nicht doch! – Noch einen Augenblick! – Die Freimäurer, sagst du –

FALK. Das Gespräch brachte mich wider Willen auf sie zurück. Verzeih! – Komm! Dort, in der größern Gesellschaft, werden wir bald Stoff zu einer tauglichern Unterredung finden. Komm!

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer

Gotthold Ephraim Lessing:

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer (1776-1778)

Erstes Gespräch:

ERNST. Woran denkst du, Freund?

FALK. An nichts.

ERNST. Aber du bist so still.

FALK. Eben darum. Wer denkt, wenn er genießt? Und ich genieße des erquickenden Morgens.

ERNST. Du hast Recht; und du hättest mir meine Frage nur zurückgeben dürfen.

FALK. Wenn ich an etwas dächte, würde ich darüber sprechen. Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde.

ERNST. Gewiß.

FALK. Hast du des schönen Morgens schon genug genossen; fällt dir etwas ein; so sprich du. Mir fällt nichts ein.

ERNST. Gut das! – Mir fällt ein, daß ich dich schon längst um etwas fragen wollen.

FALK. So frage doch.

ERNST. Ist es wahr, Freund, daß du ein Freimäurer bist?

FALK. Die Frage ist eines der keiner ist.

ERNST. Freilich! – Aber antworte mir gerader zu. – Bist du ein Freimäurer?

FALK. Ich glaube es zu sein.

ERNST. Die Antwort ist eines, der seiner Sache eben nicht gewiß ist.

FALK. O doch! Ich bin meiner Sache so ziemlich gewiß.

ERNST. Denn du wirst ja wohl wissen, ob und wenn und wo und von wem du aufgenommen worden.

FALK. Das weiß ich allerdings; aber das würde so viel nicht sagen wollen.

ERNST. Nicht?

FALK. Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen!

ERNST. Erkläre dich.

FALK. Ich glaube ein Freimäurer zu sein; nicht so wohl, weil ich von älteren Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen worden: sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Freimäurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie befördert oder gehindert wird.

ERNST. Und drückst dich gleichwohl so zweifelhaft aus? – Ich glaube einer zu sein!

FALK. Dieses Ausdrucks bin ich nun so gewohnt. Nicht zwar, als ob ich Mangel an eigner Überzeugung hätte: sondern weil ich nicht gern mich jemanden gerade in den Weg stellen mag.

ERNST. Du antwortest mir als einem Fremden.

FALK. Fremder oder Freund!

ERNST. Du bist aufgenommen, du weißt alles – –

FALK. Andere sind auch aufgenommen, und glauben zu wissen.

ERNST. Könntest du denn aufgenommen sein, ohne zu wissen, was du weißt?

FALK. Leider!

ERNST. Wie so?

FALK. Weil viele, welche aufnehmen, es selbst nicht wissen; die wenigen aber, die es wissen, es nicht sagen können.

ERNST. Und könntest du denn wissen, was du weißt, ohne aufgenommen zu sein?

FALK. Warum nicht? – Die Freimäurerei ist nichts willkürliches, nichts entbehrliches: sondern etwas notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muß man auch durch eignes Nachdenken eben so wohl darauf verfallen können, als man durch Anleitung darauf geführet wird.

ERNST. Die Freimäurerei wäre nichts Willkürliches? – Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebräuche, welche alle anders sein könnten, und folglich willkürlich sind?

FALK. Das hat sie. Aber diese Worte und diese Zeichen und diese Gebräuche, sind nicht die Freimäurerei.

ERNST. Die Freimäurerei wäre nichts Entbehrliches? – Wie machten es denn die Menschen, als die Freimäurerei noch nicht war?

FALK. Die Freimäurerei war immer.

ERNST. Nun was ist sie denn, diese notwendige, diese unentbehrliche Freimäurerei?

FALK. Wie ich dir schon zu verstehen gegeben: – Etwas, das selbst die, die es wissen, nicht sagen können.

ERNST. Also ein Unding.

FALK. Übereile dich nicht.

ERNST. Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdrücken.

FALK. Nicht immer; und oft wenigstens nicht so, daß andre durch die Worte vollkommen eben denselben Begriff bekommen, den ich dabei habe.

ERNST. Wenn nicht vollkommen eben denselben, doch einen etwanigen.

FALK. Der etwanige Begriff wäre hier unnütz oder gefährlich. Unnütz, wenn er nicht genug; und gefährlich, wenn er das geringste zu viel enthielte.

ERNST. Sonderbar! – Da also selbst die Freimäurer, welche das Geheimnis ihres Ordens wissen, es nicht wörtlich mitteilen können, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?

FALK. Durch Taten. – Sie lassen gute Männer und Jünglinge, die sie ihres nähern Umgangs würdigen, ihre Taten vermuten, erraten, – sehen, so weit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran, und tun ähnliche Taten.

ERNST. Taten? Taten der Freimäurer? – Ich kenne keine andere, als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schöner gedruckt, als gedacht und gesagt sind.

FALK. Das haben sie mit mehrern Reden und Liedern gemein.

ERNST. Oder soll ich das für ihre Taten nehmen, was sie in diesen Reden und Liedern von sich rühmen?

FALK. Wenn sie es nicht bloß von sich rühmen.

ERNST. Und was rühmen sie denn von sich? – Lauter Dinge, die man von jedem guten Menschen, von jedem rechtschaffnen Bürger erwartet. – Sie sind so freundschaftlich, so guttätig, so gehorsam, so voller VaterlandsLiebe!

FALK. Ist denn das nichts?

ERNST. Nichts! – um sich dadurch von andern Menschen auszusondern. – Wer soll das nicht sein?

FALK. Soll!

ERNST. Wer hat, dieses zu sein, nicht, auch außer der Freimäurerei, Antrieb und Gelegenheit genug?

FALK. Aber doch in ihr, und durch sie, einen Antrieb mehr.

ERNST. Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle mögliche intensive Kraft gegeben! – Die Menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Räder in einer Maschine. Je mehr Räder: desto wandelbarer.

FALK. Ich kann dir das nicht widersprechen.

ERNST. Und was für einen Antrieb mehr! – Der alle andre Antriebe verkleinert, verdächtig macht! sich selbst für den stärksten und besten ausgibt!

FALK. Freund, sei billig! – Hyperbel, Quidproquo jener schalen Reden und Lieder! Probewerk! Jüngerarbeit!

ERNST. Das will sagen: Bruder Redner ist ein Schwätzer.

FALK. Das will nur sagen: was Bruder Redner an den Freimäurern preiset, das sind nun freilich ihre Taten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer; und Taten sprechen von selbst.

ERNST. Ja, nun merke ich worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen diese Taten, diese sprechende Taten. Fast möchte ich sie schreiende nennen. Nicht genug, daß sich die Freimäurer einer den andern unterstützen, auf das kräftigste unterstützen: denn das wäre nur die notwendige Eigenschaft einer jeden Bande. Was tun sie nicht für das gesamte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind!

FALK. Zum Exempel? – Damit ich doch höre, ob du auf der rechten Spur bist.

ERNST. Z.E. die Freimäurer in Stockholm! – Haben sie nicht ein großes Findelhaus errichtet?

FALK. Wenn die Freimäurer in Stockholm sich nur auch bei einer andern Gelegenheit tätig erwiesen haben.

ERNST. Bei welcher andern?

FALK. Bei sonst andern; meine ich.

ERNST. Und die Freimäurer in Dresden! die arme junge Mädchen mit Arbeit beschäftigen, sie klöppeln und stücken lassen, – damit das Findelhaus nur kleiner sein dürfe.

FALK. Ernst! Du weißt wohl, wenn ich dich deines Namens erinnere.

ERNST. Ohne alle Glossen dann. – Und die Freimäurer in Braunschweig! die arme fähige Knaben im Zeichnen unterrichten lassen.

FALK. Warum nicht?

ERNST. Und die Freimäurer in Berlin! die das Basedowsche Philanthropin unterstützen.

FALK. Was sagst du? – Die Freimäurer? Das Philanthropin? unterstützen? – Wer hat dir das aufgebunden?

ERNST. Die Zeitung hat es ausposaunet.

FALK. Die Zeitung! – Da müßte ich Basedows eigenhändige Quittung sehen. Und müßte gewiß sein, daß die Quittung nicht an Freimäurer in Berlin, sondern an die Freimäurer gerichtet wäre.

ERNST. Was ist das? – Billigest du denn Basedows Institut nicht?

FALK. Ich nicht? Wer kann es mehr billigen?

ERNST. So wirst du ihm ja diese Unterstützung nicht mißgönnen?

FALK. Mißgönnen? – Wer kann ihm alles Gute mehr gönnen, als Ich?

ERNST. Nun dann! – Du wirst mir unbegreiflich.

FALK. Ich glaube wohl. Dazu habe ich Unrecht. – Denn auch die Freimäurer können etwas tun, was sie nicht als Freimäurer tun.

ERNST. Und soll das von allen auch ihren übrigen guten Taten gelten?

FALK. Vielleicht! – Vielleicht, daß alle die guten Taten, die du mir da genannt hast, um mich eines scholastischen Ausdruckes, der Kürze wegen zu bedienen, nur ihre Taten ad extra sind.

ERNST. Wie meinst du das?

FALK. Nur ihre Taten, die dem Volke in die Augen fallen; – nur Taten, die sie bloß deswegen tun, damit sie dem Volk in die Augen fallen sollen.

ERNST. Um Achtung und Duldung zu genießen?

FALK. Könnte wohl sein.

ERNST. Aber ihre wahre Taten denn? – Du schweigst?

FALK. Wenn ich dir nicht schon geantwortet hätte? – Ihre wahre Taten sind ihr Geheimnis.

ERNST. Ha! ha! Also auch nicht erklärbar durch Worte?

FALK. Nicht wohl! – Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Taten der Freimäurer sind so groß, so weit aussehend, daß ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist, – merke wohl: in der Welt! – Und fahren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird, – merke wohl, in der Welt.

ERNST. O geh! Du hast mich zum besten.

FALK. Wahrlich nicht. – Aber sieh! dort fliegt ein Schmetterling, den ich haben muß. Es ist der von der Wolfmilchsraupe.- Geschwind sage ich dir nur noch: die wahren Taten der Freimäurer zielen dahin, um größten Teils alles, was man gemeiniglich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.

ERNST. Und sind doch auch gute Taten?

FALK. Es kann keine bessere geben. – Denke einen Augenblick darüber nach. Ich bin gleich wieder bei dir.

ERNST. Gute Taten, welche darauf zielen, gute Taten entbehrlich zu machen? – Das ist ein Rätsel. Und über ein Rätsel denke ich nicht nach. – Lieber lege ich mich indes unter den Baum, und sehe den Ameisen zu.