Samstag, 15. Mai 2010

Ein Spiegel für Jeden

In einer kleinen Stadt lebten ein reicher Mann und ein Derwisch. Der Derwisch war dem reichen Mann nicht wohl gesonnen und wünschte ihm am liebsten dessen Tod. Als eines Morgens der Derwisch auf dem Weg zu seinen Schülern war, traf er den reichen Mann und grüßte ihn. Der reiche Mann sah den Derwisch mit herabfallenden Blick an und sprach in einem herabfallenden Ton: „Ich habe beschlossen, dir einen teuren Grabstein zu bestellen. Was meinst du? Sage mir, was für einer sollte er sein? Damit jeder, der deiner gedenkt, sich amüsiert."

Der Derwisch schaute den reichen Mann lange an und sagte lächelnd: „Mein Grabstein soll ein Spiegel sein, und darauf darf nichts geschrieben werden. Damit die, die meiner gedenken, sich darin sehen und mehr über sich und ihre Taten nachdenken!“

Der reiche Mann, verwirrt über die Antwort des Derwischs, wollte sich nichts anmerken lassen und setzte fort: „So wird keiner fuer dich beten, sondern sich im Spiegel anschauen.“

Der Derwisch, der über die Eitelkeit des reichen Mannes im Bilde war, erwiderte: „Die, die großen Stolz entwickeln, sind geistig blind und sehen nur ihr Spiegelbild und die, die meiner gedenken, werden Fragen über den wahren Sinn des Lebens stellen.“

Banafshe Tabatabi aus Theran, Iran