Freitag, 13. November 2009

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer

Gotthold Ephraim Lessing:

Ernst und Falk - Gespräche für Freymäurer (1776-1778)

Drittes Gespräch:

ERNST. Du bist mir den ganzen Tag im Gedränge der Gesellschaft ausgewichen. Aber ich verfolge dich in dein Schlafzimmer.

FALK. Hast du mir so etwas wichtiges zu sagen? Der bloßen Unterhaltung bin ich auf heute müde.

ERNST. Du spottest meiner Neugierde.

FALK. Deiner Neugierde?

ERNST. Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen wußtest.

FALK. Wovon sprachen wir diesen Morgen?

ERNST. Von den Freimäurern.

FALK. Nun? – Ich habe dir im Rausche des Pyrmonter doch nicht das Geheimnis verraten?

ERNST. Das man, wie du sagst, gar nicht verraten kann.

FALK. Nun freilich; das beruhigt mich wieder.

ERNST. Aber du hast mir doch über die Freimäurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das mir auffiel; das mich denken machte.

FALK. Und was war das?

ERNST. O quäle mich nicht! – Du erinnerst dich dessen gewiß.

FALK. Ja; es fällt mir nach und nach wieder ein. – Und das war es, was dich den ganzen langen Tag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte?

ERNST. Das war es! – Und ich kann nicht einschlafen, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest.

FALK. Nach dem die Frage sein wird.

ERNST. Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, daß die Freimäurer wirklich jene große und würdige Absichten haben?

FALK. Habe ich dir von ihren Absichten gesprochen? Ich wüßte nicht. – Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahren Taten der Freimäurer machen konntest: habe ich dich bloß auf einen Punkt aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles geschehen kann, wovon sich unsere staatsklugen Köpfe gar nichts träumen lassen. – Vielleicht, daß die Freimäurer da herum arbeiten. – Vielleicht! da herum! – Nur um dir dein Vorurteil zu benehmen, daß alle baubedürftige Plätze schon ausgefunden und besetzt, alle nötige Arbeiten schon unter die erforderlichen Hände verteilet wären.

ERNST. Wende dich itzt, wie du willst. – Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimäurer als Leute, die es freiwillig über sich genommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Staats entgegen zu arbeiten.

FALK. Dieser Begriff kann den Freimäurern wenigstens keine Schande machen. – Bleib dabei! – Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was nicht hinein gehöret. – Den unvermeidlichen Übeln des Staats! – Nicht dieses und jenes Staats. Nicht den unvermeidlichen Übeln, welche, eine gewisse Staatsverfassung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfassung nun notwendig folgen. Mit diesen gibt sich der Freimäurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimäurer. Die Linderung und Heilung dieser überläßt er dem Bürger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz andrer Art, ganz höherer Art, sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.

ERNST. Ich habe das sehr wohl begriffen. – Nicht Übel, welche den mißvergnügten Bürger machen, sondern Übel, ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht sein kann.

FALK. Recht! Diesen entgegen – wie sagtest du? – entgegen zu arbeiten?

ERNST. Ja!

FALK. Das Wort sagt ein wenig viel. – Entgegenarbeiten! – Um sie völlig zu heben? – Das kann nicht sein. Denn man würde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten. – Sie müssen nicht einmal denen mit eins merklich gemacht werden, die noch gar keine Empfindung davon haben. Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weiten veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzen, begäten, beblatten – kann hier entgegen arbeiten heißen. – Begreifst du nun, warum ich sagte, ob die Freimäurer schon immer tätig wären, daß Jahrhunderte dennoch vergehen könnten, ohne daß sich sagen lasse: das haben sie getan.

ERNST. Und verstehe auch nun den zweiten Zug des Rätsels – Gute Taten, welche gute Taten entbehrlich machen sollen.

FALK. Wohl! – Nun geh, und studiere jene Übel, und lerne sie alle kennen, und wäge alle ihre Einflüsse gegen einander ab, und sei versichert, daß dir dieses Studium Dinge aufschließen wird, die in Tagen der Schwermut die niederschlagendsten, unauflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen. Dieser Aufschluß, diese Erleuchtung wird dich ruhig und glücklich machen; – auch ohne Freimäurer zu heißen.

ERNST. Du legest auf dieses heißen so viel Nachdruck.

FALK. Weil man etwas sein kann, ohne es zu heißen.

ERNST. Gut das! ich versteh – Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nur ein wenig anders einkleiden muß. Da ich sie doch nun kenne, die Übel, gegen welche die Freimäurerei angehet – –

FALK. Du kennest sie?

ERNST. Hast du mir sie nicht selbst genannt?

FALK. Ich habe dir einige zur Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten: nur einige von den unstreitigsten, weit umfassendsten. – Aber wie viele sind nicht noch übrig, die, ob sie schon nicht so einleuchten, nicht so unstreitig sind, nicht so viel umfassen, dennoch nicht weniger gewiß, nicht weniger notwendig sind!

ERNST. So laß mich meine Frage denn bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hast. – Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, daß die Freimäurer wirklich ihr Absehen darauf haben? – Du schweigst? – Du sinnest nach?

FALK. Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten hätte! – Aber ich weiß nicht, was ich mir für Ursachen denken soll, warum du mir diese Frage tust?

ERNST. Und du willst mir meine Frage beantworten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?

FALK. Das verspreche ich dir.

ERNST. Ich kenne und fürchte deinen Scharfsinn.

FALK. Meinen Scharfsinn?

ERNST. Ich fürchte, du verkaufst mir deine Spekulation für Tatsache.

FALK. Sehr verbunden.

ERNST. Beleidiget dich das?

FALK. Vielmehr muß ich dir danken, daß du Scharfsinn nennest, was du ganz anders hättest benennen können.

ERNST. Gewiß nicht. Sondern ich weiß, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betriegt; wie leicht er andern Leuten Plane und Absichten leihet und unterlegt, an die sie nie gedacht haben.

FALK. Aber woraus schließt man auf der Leute Plane und Absichten? Aus ihren einzeln Handlungen doch wohl?

ERNST. Woraus sonst? – Und hier bin ich wieder bei meiner Frage. – Aus welchen einzeln, unstreitigen Handlungen der Freimäurer ist abzunehmen, daß es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benannte Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen notwendig machen müssen, durch sich und in sich wieder zu vereinigen?

FALK. Und zwar ohne Nachteil dieses Staats, und dieser Staaten.

ERNST. Desto besser! – Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu sein, woraus jenes abzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigentümlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten, oder daraus entspringen. – Von dergleichen müßtest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sein; gesetzt, daß dein System nur Hypothese wäre.

FALK. Dein Mißtrauen äußert sich noch. – Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimäurer zu Gemüte führe.

ERNST. Und welches?

FALK. Aus welchem sie nie ein Geheimnis gemacht haben. Nach welchem sie immer vor den Augen der ganzen Welt gehandelt haben.

ERNST. Das ist?

FALK. Das ist, jeden würdigen Mann von gehöriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Unterschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufzunehmen.

ERNST. Wahrhaftig!

FALK. Freilich scheint dieses Grundgesetze dergleichen Männer, die über jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits voraus zu setzen, als die Absicht zu haben, sie zu bilden. Allein das Nitrum muß ja wohl in der Luft sein, ehe es sich als Salpeter an den Wänden anlegt.

ERNST. O ja!

FALK. Und warum sollten die Freimäurer sich nicht hier einer gewöhnlichen List haben bedienen dürfen? – Daß man einen Teil seiner geheimen Absichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irre zu führen, der immer ganz etwas anders vermutet, als er sieht.

ERNST. Warum nicht?

FALK. Warum sollte der Künstler, der Silber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber handeln, damit man so weniger argwohne, daß er es machen kann?

ERNST. Warum nicht?

FALK. Ernst! – Hörst du mich? – Du antwortest im Traume, glaub ich.

ERNST. Nein, Freund! Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen, mit dem frühsten, kehre ich wieder nach der Stadt.

FALK. Schon? Und warum so bald?

ERNST. Du kennst mich, und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur noch?

FALK. Ich habe sie vorgestern erst angefangen.

ERNST. So sehe ich dich vor dem Ende derselben noch wieder. – Lebe wohl! gute Nacht!

FALK. Gute Nacht! lebe wohl!

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